Archäologische Funde belegen die Herstellung und Verwendung von Branntkalk (gebrannter Kalkstein) schon vor tausenden Jahren. Als einer der ältesten künstlich hergestellten Baustoffe fand er als Bindemittel im Kalkmörtel in verschiedenen Bereichen Verwendung, darunter beim Mauern, Verfugen und Verputzen, aber auch als Träger für Mosaike oder Freskomalereien. Traditioneller Kalkmörtel besteht aus Branntkalk, der in Wasser aufgelöst (gelöscht) und mit Sand vermischt wird. Das Wissen über die Verwendung und Herstellung von Kalkmörtel wurde über Generationen weitergegeben. Mit der Durchsetzung des Betons ab dem 19. Jahrhundert geriet der reine Kalkmörtel als Baustoff allmählich in Vergessenheit.
Bei Zement- und reinem Kalkmörtel finden unterschiedliche chemische Prozesse des Aushärtens statt. Der heute weltweit genutzte moderne Zementmörtel bindet durch die Zugabe von Wasser ab (Hydratation). Anders beim Kalkmörtel, bei dem der enthaltene Kalk durch die Abgabe von Wasser und die Aufnahme von Kohlendioxid aus der Luft aushärtet. Das Aushärten von Kalkmörtel dauert deutlich länger als das Aushärten von Zementmörtel, teilweise sogar mehrere Jahre. Dafür bietet das Material viele Vorteile. So ist es ökologisch nachhaltiger, ermöglicht eine gute Feuchtigkeitsregulierung und fördert das Raumklima.
Die meisten Gebäude des Freilichtmuseums stammen aus der Zeit, als die Verwendung von Kalk beim Hausbau noch üblich war. Um sie instand zu setzen und zu unterhalten, musste das Museum den heute rar gewordenen Baustoff teuer einkaufen, bis entschieden wurde, das Material gleich selbst vor Ort herzustellen. Seit 2000 wird im Museum Kalk in einem einfachen Feldofen gebrannt, der 2023 komplett erneuert wurde.
Der Brennprozess dauert mehrere Tage. Die Kalksteine werden zuerst sorgfältig in den Kalkbrennofen geschichtet. Nach einer Aufheizphase wird der Ofen im oberen Bereich mit Lehm abgedeckt, um die Wärme zu halten. Die Brenntemperatur wird auf ungefähr 1000°C erhöht und der Kalkstein während des Brennvorgangs zu Branntkalk, auch Stückkalk genannt, umgewandelt. Dieser wird nach dem Brennen aus dem Ofen genommen. Ein Teil davon wird direkt gelöscht, also mit Wasser übergossen. Durch eine chemische Reaktion erhitzt der gebrannte Stein das Wasser über den Siedepunkt hinaus und wird in wenigen Minuten zu einer leuchtend weissen, teigigen Masse. Diese wird in eine Kalkgrube gefüllt und dort mit einer Wasserschicht überdeckt gelagert. Im Laufe der Zeit löst sich der Branntkalk vollständig auf und wird somit zu Sumpfkalk. Dieser eignet sich besonders für die Herstellung von Kalkfarben und feinen Kalkputzen.
Der übrige gebrannte Kalk wird trocken gelagert und bei Bedarf für die Herstellung von Kalkmörtel verwendet. So findet er gegenwärtig auch beim Wiederaufbau des Schulhauses aus Unterheid bei Meiringen (BE) als Spatzenkalk Verwendung.
Kalkstein besteht aus Calziumkarbonat (CaCO3). Wird Kalkstein auf eine Temperatur über 1000°C erhitzt, entweicht das Kohlendioxid (CO2) und das Ergebnis ist Branntkalk, beziehungsweise Calciumoxid (CaO). Bei der Zugabe von Wasser (H2O) kommt es zu einer chemischen Reaktion und unter grosser Hitze entsteht Löschkalk (Ca(OH)2). Der Löschkalk wird zusammen mit Zuschlagsstoffen zu einem Mörtel oder Putz angemischt und verarbeitet. Der Mörtel nimmt fortlaufend wieder Kohlendioxid aus der Luft auf und gibt gleichzeitig Wasser ab. Dabei härtet er aus und es entsteht, chemisch betrachtet, wieder das Ausgangsmaterial Calziumkarbonat.