Ein regelmässiges, sanftes Schnurren geht vom Spinnrad aus, an dem Silvia Omlin an diesem Sonntagnachmittag arbeitet. Sie sitzt in der Stube des Weinbauernhauses aus Richterswil ZH (611) und verarbeitet Wolle von Ballenberg-Schafen. Wie sie haben Tausende von Frauen in früheren Jahrhunderten dasselbe gemacht. Das Rad dreht sich nicht sehr schnell, die Fasern sind kurz und die Spinnerin muss konzentriert und langsam arbeiten. Sorgfältig zupft sie an der Faser und reibt sie mit Daumen und Zeigefinger. Das Spinnrad nimmt den Schwung auf und dreht die Faser zu einem Faden. Wenn Silvia Omlin fertig ist mit Spinnen, wird sie je zwei Fäden zu einem dickeren und festeren Garn zwirnen. Auch im Haus aus Wila ZH (641) sind regelmässig Spinnerinnen am Werk, dort wird Leinen zu feinem Garn gesponnen.
Spinnen von Wolle diente oft der Deckung des eigenen Bedarfs. Spinnen war in der Schweiz aber auch eine verbreitete Heimarbeit, die vielen Familien ein kleines zusätzliches Auskommen zur Landwirtschaft ermöglichte. Oder die Familien lebten sogar ganz vom Spinnen: Besonders in der Ostschweiz, im Kanton Zürich, im Glarnerland und in Teilen des Aargaus wurde die Arbeit oft zum Haupterwerb. Im 16. und 17. Jahrhundert spann die Landbevölkerung grosse Mengen von Flachsfasern für das in St. Gallen florierende Leinwandgewerbe. Später benötigte die Baumwollindustrie tausende spinnende Hände. In Wila im Zürcher Oberland gab es im Jahre 1787 insgesamt 540 Spinner. Als um 1810 die ersten Spinnmaschinen eingeführt wurden, verlagerte sich die Tätigkeit auf die Heimweberei.
Die von Silvia Omlin und ihren Kolleginnen gesponnene Wolle steht bei den Spinnerinnen selber oder in den Läden zum Verkauf. Die Wolle wird mit natürlichen Farben gefärbt, beispielsweise mit Tagetes, mit Holunder, Baumrinden oder Nussschalen. Erhältlich sind auch verschiedene gestrickte Produkte, beispielsweise Pulswärmer, Mützen oder Schals.